Logo sozialer sinn





ISSN 1439-9326

Heft 1-2006

Professionalität in Handlungsfeldern sozialer Arbeit

Karl Friedrich Bohler

Die Professionalisierung der Sozialen Arbeit als Projekt. Untersucht am Beispiel ostdeutscher Jugendämter

Die Professionalisierung der Sozialen Arbeit in der Jugendhilfe kann als ein gesellschaftliches, institutionelles und berufliches Projekt begriffen werden, das sich vor dem Hintergrund immanenter struktureller Spannungsmomente je nach Lage und Situation auf einem „guten“ oder „weniger guten Weg“ befindet. Die beispielhafte Untersuchung zweier ostdeutscher Jugendämter zeigt die wesentliche Bedeutung der Einflussfaktoren Kreispolitik, Sozial- und Kreisverwaltung, Leitungsverständnis sowie berufliche Qualifikation der Mitarbeiter der Sozialen Dienste. Die politischen Rahmenbedingungen, die institutionellen Elemente einer professionellen Organisation und die akteursspezifischen Elemente von Professionalität können sich für das Gelingen der Jugendhilfe nur ergänzen, aber nicht wechselseitig ersetzen.

Schlagworte: Gesellschaftliche Transformation, Soziale Institutionen, Organisationsentwicklung, Professionalisierung der Sozialarbeit, Familien- und Jugendhilfe

Peter Cloos/Stefan Köngeter

Zur Relationierung der Fall- und Interventionsperspektive in der Kinder- und Jugendarbeit

Im Rahmen einer ethnographischen Untersuchung zum sozialpädagogischen Handeln in der Kinder- und Jugendarbeit richtet sich der Fokus dieses Beitrags auf die Frage, welche Fallperspektiven Jugendarbeiter einnehmen und in ihrem Handeln und im Umgang mit Jugendlichen herstellen. Im Zentrum steht die sequenzanalytische Rekonstruktion von ethnographischen Interviews, die in zwei Jugendhäusern durchgeführt wurden. Dabei wird zunächst das Handeln mit Räumen als Bedingung der Möglichkeit für Kinder- und Jugendarbeit: die Herstellung einer sozial-pädagogischen Arena, herausgearbeitet. Sodann werden entlang einer längeren Fallbeschreibung die vielschichtigen Fall- und Interventionsperspektiven in der Kinder- und Jugendarbeit rekonstruiert. Beide Rekonstruktionen verweisen auf eine zentrale professionelle Herausforderung im Rahmen dieses Handlungsfeldes, nämlich die Relationierung divergierender Fall- und Interventionsperspektiven.

Schlagworte: Professionalisierung; Ethnographie; Sequenzanalyse; Kinder- und Jugendarbeit; (Sozialpädagogische) Fallperspektiven

Eva Nadai

Auf Bewährung. Arbeit und Aktivierung in Sozialhilfe und Arbeitslosenversicherung

Jedes gesellschaftliche System der Fürsorge benötigt Kriterien und Verfahren, um zu entscheiden, wer zu welchen Bedingungen Unterstützung erhält. Die Arbeits(un)fähigkeit der Betroffenen war und ist das primäre Sortierkriterium für Unterstützungsberechtigung, während Arbeits(un)willigkeit die Differenz zwischen unterstützungswürdigen und -unwürdigen Klienten markiert. Im Kontext aktivierender Sozial- und Arbeitsmarktpolitik wird Unterstützung zunehmend an die Bedingung von Arbeit und Eigenaktivität geknüpft. Entsprechende Integrationsmaßnahmen für Sozialhilfeklienten und Arbeitslose sollen deren „Beschäftigungsfähigkeit“ verbessern und die Klienten möglichst schnell dem Arbeitsmarkt zuführen. Als Folge widersprüchlicher Strukturierungen dienen solche Programme jedoch vor allem als Konformitätstest. Weil die Maßnahmen auf dem Modell des kontextfreien ökonomischen Akteurs basieren, blenden sie überdies Probleme jenseits von Arbeit und Stellensuche aus und verstärken die soziale Verwundbarkeit der Betroffenen. Dies wird anhand von empirischem Material aus zwei ethnographischen Forschungsprojekten gezeigt.

Schlagworte: Aktivierung, Beschäftigungsprogramme, Arbeitslose, Sozialhilfeklienten, Bewährung, Leistung, Ethnographie

Chantal Magnin

Die Bürokratisierung des Arbeitsmarktes. Zu den Paradoxien der aktivierungspolitischen Bearbeitung von Arbeitslosigkeit

Mit einer grundlegenden Reform Mitte der 1990er Jahre wurde das von der OECD für jegliche Systeme sozialer Sicherung empfohlene aktivierungspolitische Prinzip, wonach für jede Leistung eine Gegenleistung zu erbringen ist, in der Arbeitslosenversicherung der Schweiz konsequent verankert. Die Rechte und Pflichten der Leistungsbezügerinnen und -bezügern erfuhren eine Neubestimmung, dies mit dem Ziel, dass sich diese fortan in verstärktem Maße um ihre Beschäftigungsfähigkeit bemühen. Im Zuge derselben Reform wurden „Regionale Arbeitsvermittlungszentren“ geschaffen, die heute für sowohl die Beratung und Vermittlung wie die Kontrolle arbeitsloser Personen zuständig sind. Ausgehend von den Ergebnissen eines Forschungsprojektes wird im Beitrag der Frage nachgegangen, wie sich diese Politik im Kontakt der Behörde mit ihrer Klientel unmittelbar auswirkt. Dies geschieht anhand der Analyse eines Gespräches zwischen einem in einem solchen Zentrum als Berater tätigen Mitarbeiter und einem arbeitslosen Juristen.

Schlagworte: Arbeitslosigkeit, Arbeitsmarkt, Beratung, öffentliche Arbeitsvermittlung, Sozialpolitik, Sozialversicherung, soziale Sicherung, Wohlfahrtsstaat

Allgemeiner Teil

Ingo Bode

Die Rente auf dem Markt. Zur Organisation und Kultivierung der privaten Altersvorsorge

In Deutschland hat sich das System der Altersvorsorge zuletzt stark gewandelt. Die Abschmelzung gesetzlicher Rentenansprüche und gleichzeitige Aufwertung staatlich geförderter Eigenvorsorge führt zu einem Neuzuschnitt des Zugangs zur Alterssicherung. Dabei spielen Finanzdienstleister, die den neuen „Vorsorgekunden“ Altersvorsorgeprodukte anbieten, eine maßgebliche Rolle. Der Beitrag geht der Frage nach, wie die in entsprechenden Dienstleistungsbeziehungen vollzogene „Ko-organisation“ privater Eigenvorsorge vor Ort kommunikativ und interaktiv strukturiert wird, und welche potenziellen Konsequenzen daraus für Prozesse der Sinnstiftung im Bereich der Alterssicherung erwachsen. Dies erfolgt auf der Grundlage einer exemplarisch-explorativen Inhaltsanalyse von aus realen Beratungsprozessen gewonnenen Gesprächsprotokollen. Die Analyse plausibilisiert, dass das „treuhänderische“ Management der Eigenvorsorge durch Finanzdienstleister mit einem hybriden Kultivierungsprozess verbunden ist, in den die Vorsorgesubjekte einerseits bestimmte Sicherheitserwartungen einbringen (können), durch den sie aber zugleich mit risiko-orientierten und vom Outcome her nur begrenzt kalkulierbaren Sparalternativen vertraut gemacht werden – allerdings unter kontingenten Voraussetzungen, was den dabei jeweils angebotenen Optionsraum und die Bewältigung von Vertrauensproblemen betrifft. „Ko-organisierte“ Eigenvorsorge heißt also: Verhandeln von Lösungen unter Bedingungen prozeduraler Ungewissheit – und dies hat absehbar Auswirkungen auf die Strukturierung sozialer Ungleichheit beim Zugang zur Alterssicherung.

Schlagworte: Dienstleistungsbeziehungen, Alterssicherung, Wohlfahrtsmärkte

Richard Utz

Der Erste Eindruck. Ein Beitrag zur Soziologie der Sinneswahrnehmung

Der Beitrag entwickelt das aus dem Alltagsleben bekannte Phänomen des Ersten Eindrucks unter drei analytischen Gesichtspunkten: der Erste Eindruck als eine spezifische symbolische Strukturierung personenbezogener Wahrnehmungen: „Vom sinnlichen Eindruck zum symbolischen Ausdruck“; alsdann der Erste Eindruck als eine personenbezogene Evaluation: „Der Erste Eindruck als Bewertungsverfahren“; und schließlich der Erste Eindruck als ein Symbolgebilde, das zwar unter zeitlich befristeten und räumlich begrenzten, also singulären Bedingungen entsteht, aber entfristet und entgrenzt wirkt, sich also zu generalisieren strebt: „Erster Eindruck als Situation“. Als Beispiel dient eine Stelle aus den Tagebüchern der Gebrüder de Goncourt, die deren Ersten Eindruck des Literaten Ernest Renan wiedergibt.

Schlagworte: Erster Eindruck, Sinneswahrnehmungen in direkter Interaktion, Symbolisierung, Soziale Situation und Erster Eindruck

Diskussion

Jörg Strübing

Wider die Zwangsverheiratung von Grounded Theory und Objektiver Hermeneutik. Eine Replik auf Bruno Hildenbrand

Die Replik auf Bruno Hildenbrand befasst sich kritisch mit dem von ihm artikulierten Verständnis von Strukturiertheit, Strukturierung und Handlung im Vergleich von Grounded Theory und Objektiver Hermeneutik. Dazu wird auf die epistemologischen und sozialtheoretischen Hintergründe der von Anselm Strauss vertretenden Variante der Grounded Theory zurückgegriffen und gezeigt, dass der aus dem Pragmatismus entlehnte Begriff von Realität, Struktur und Handeln sowie die Konzeption von Forschung als iterativ-zyklischer Problemlösungsprozess gerade nicht defizitär in Sachen Strukturiertheit sozialer Interaktionen ist und daher auch keiner Synthese mit der Objektiven Hermeneutik und ihrem kompromisslosen Regelbegriff bedarf.

Schlagworte: Grounded Theory, Strukturierung, Strukturbegriff, Pragmatismus, Interaktionismus

Bruno Hildenbrand

Wider die Sippenhaft. Eine Antwort auf Jörg Strübing

Methodendebatten sind insbesondere dann fruchtbar, wenn sie an einem materialen Forschungsproblem entwickelt werden. Dies wird am Beispiel eines Vergleichs von Grounded Theory und Objektiver Hermeneutik gezeigt, bei dem es um das Verhältnis von Struktur und Interaktion geht.

Schlagworte: Qualitative Methodologie, Grounded Theory, Objektive Hermeneutik, Struktur und Interaktion